Nicht essen sondern vernichten

13.05.2015 CJD Berchtesgaden – Gesundheit – Bildung - Beruf « zur Übersicht

Für Sebastian war Essen eine Herausforderung, der er nicht gewachsen war. Erst als er über 200 kg wog, bekam er die Hilfe, die er schon viel früher gebraucht hätte.  

„Es war nicht essen, sondern eher ein Vernichten“, so beschreibt Sebastian sein Essverhalten im Rückblick auf eine Zeit, in der er unkontrolliert aß. Heute bringt der 18-jährige rund 130 kg auf die Waage. Noch vor einem Jahr waren er unglaubliche 219 kg. Seither hat der 1,8 m große junge Mann eine erstaunliche Kehrtwende geschafft: „Vom Körpergefühl ist das ein extremer Unterschied.“ Früher reichten bei ihm schon ein, zwei Stufen für einen Schweißausbruch. Die Fahrt durch die Heimatstadt Nürnberg zum Therapietermin war geradezu eine Tortur. 
Sebastians Problem hat sich über viele Jahre entwickelt. Manchmal aß er einen ganzen Brotlaib auf einmal, und dazu alles, was er im Kühlschrank finden konnte. Seine Mutter wusste sich keinen anderen Rat, als den Kühlschrank abzuschließen. Doch dann kaufte sich der Junge einfach selbst etwas.
Erst mit 15 Jahren begannen Therapieversuche. Zunächst ging es ganz gut. Doch wie bei vielen Adipositas-Patienten kam es zu einem Rückfall. Das Gewicht kletterte auf über 200 kg. Sebastian gab aber nicht auf. Er kämpfte sich bis auf 130 kg herunter - das Rückfallrisiko blieb jedoch, deshalb benötigte er langfristig Hilfe, um sein Gewicht zu halten. Diese Hilfe fand er schließlich in der CJD Oberau Health & Activity Lodge.

Seit kurzem lebt Sebastian in dieser Einrichtung des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschlands. Dort übt er ein normales Essverhalten ein, wobei ihm das geregelte, gemeinsame Essen in der Gruppe hilft. „Die Jugendlichen sollen nicht hungern“, betont Adipositas-Expertin Doris Gerber, die die Rehabilitation von Sebastian leitet. „Unser Ziel ist nicht eine Diät-Abmagerung sondern das Erlernen und Angewöhnen eines normalen Ess- und Ernährungsverhaltens.“ In dem Rehabilitationszentrum des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschlands werden Kinder und Jugendliche über einen längeren Zeitraum therapeutisch, medizinisch, psychologisch und pädagogisch betreut. Sie besuchen während ihres Aufenthaltes eine Schule oder machen eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder gar eine komplette Berufsausbildung.
Bei Sebastian stellen sich inzwischen erste Erfolge ein. Er bekommt nach und nach wieder ein Sättigungsgefühl, das er früher gar nicht kannte. Und auch in Sachen Bewegung und Sport geht es voran. Er treibt nicht nur fünf Stunden Sport pro Woche, sondern hat auch einen viel bewegteren Alltag als zuhause. So geht er zweimal in der Woche zu Fuß in die Schule – immerhin ein rund einstündiger Marsch. Und jetzt will er sogar bei einem 140 km langen Radmarathon mitfahren. „Ich bin recht optimistisch, dass das klappt.“  Doch bei aller Zuversicht, bleibt der 18-jährige realistisch: „Das Wichtigste ist, dass ich das aktuelle Gewicht stabilisieren kann und alleine damit zurechtkomme.“ Das hat bisher noch nicht wirklich gut funktioniert. Das Rückfallrisiko ist hoch. Bei Besuchen zuhause ist er schon öfter in alte Verhaltensmuster zurückgefallen.
Wie lange braucht ein adipöser junger Erwachsener wie Sebastian Hilfe in einem Rehabilitationszentrum wie dem CJD Berchtesgaden? „Natürlich kann Sebastian nicht ewig in einer Rehamaßnahme bleiben“, so Doris Gerber. „Er setzt jetzt bei uns seine Schule fort, die er aufgrund seiner Gewichtsproblematik abgebrochen hat. Das gibt ihm etwas mehr Zeit, langsam zu einem anderen Leben zu finden.“ 

Sebastian hat noch eine Chance. Auch weil sein extremes Übergewicht noch keine internistischen oder orthopädischen Folgeschäden verursacht hat. Er selbst hat eine klare Perspektive: „Ich möchte ein Körpergefühl erreichen, mit dem ich mich wohl fühle. Ein konkretes Gewicht kann ich dazu nicht nennen. Aber da möchte ich hinkommen.“