Patienten gehen auf Einkaustour

Bisher von der Öffentlichkeit und den Medien weitgehend unbemerkt nähert sich die Einführung einer weiteren Reformerfindung im Gesundheitswesen: Ab 1.1.2008 können Patienten ein so genanntes persönliches Budget beantragen, mit dem sie ihre Behandlungen dann selbst "einkaufen" sollen. Ein Fürsprecher des bei Fachleuten umstrittenen Konzeptes ist Prof. Dr. Paul Schönle, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft medizinisch-berufliche Rehabilitation.

Was ist das persönliche Budget?

Das persönliche Budget ist der Übergang von einer Sachleistung in eine Geldleistung. Wie der Name sagt, erhält der Patient Geld, mit dem er Leistungen einkaufen kann, z.B. im Pflegebereich oder im Rehabilitationsbereich. Der Patient gibt das Geld also selbst aus und verwaltet es selbst.

Wie würde das für einen chronisch Kranken, wie z.B. einem Asthmatiker, in der Praxis aussehen?

Ab 1.1.2008 kann der Patient zu seiner Krankenkasse oder zum Rentenversicherungsträger oder auch zu einer gemeinsamen Servicestelle gehen und ein persönliches Budget für seine Asthmaerkrankung beantragen. Die Stelle wird dann beraten, was alles notwendig ist und holt alle Kostenträger mit ins Boot, d.h. Krankenkasse, Pflegekasse, Rentenversicherungsträger. Heraus kommt ein auf zwei Jahre festgelegtes Budget, in dem alle Leistungen mit eingerechnet sind.

Heute werden Rehaanträge oft zwischen Krankenkasse und Rentenversicherungs­träger hin- und hergeschoben. Wird das Antragsverfahren durch das Budgetkonzept beschleunigt?

Das viel hin- und hergeschoben wird, hängt damit zusammen, dass dadurch viele auf der Strecke bleiben und so Geld gespart wird. Wenn ein Budget beantragt wird, muss es jedoch innerhalb von 14 Tagen zwischen den einzelnen Kostenträgern besprochen sein.

Was bringt das dem unter steigenden Kosten leidenden Gesundheitssystem?

Das persönliche Budget ist eine Revolution im Gesundheitssystem. Es führt weg von dem obrigkeitsstaatlichen "Gewähren einer Leistung" hin zu einer neuzeitlichen, bürgernahen Selbstentscheidung.

Das setzt aber voraus, dass der Patient sich mit vielen Dingen befassen muss, die ihm bisher der Arzt abgenommen hat. Ist das nicht eine Überforderung?

Er kann sich ja doch bei der Stelle beraten lassen, bei der er seinen Antrag auf ein persönliches Budget stellt. Er kann sich auch vom Haus- oder Facharzt beraten lassen, er kann ins Internet schauen, kann sich informieren, was es z.B. an Rehabilitationseinrichtungen für Asthmatiker gibt. Der Betroffene nimmt damit seine Sache selbst in die Hand.

Das kann doch aber auch gründlich schief gehen?

In Rheinland-Pfalz wurde das Pflegegeld bereits als persönliches Budget ausgezahlt. Das waren 400 bis maximal 1.000 Euro im Monat. Damit konnten die Patienten machen, was sie wollten. Überprüfungen haben gezeigt, dass das Ziel der Rehabilitation, nämlich die Teilhabe an der Gemeinschaft in den meisten Fällen hervorragend erreicht wurde.

Was bedeutet das persönliche Budget für die Gesundheitsstrukturen?

Die medizinischen Einrichtungen müssen sich in ihren Konzepten natürlich ändern. Beim persönlichen Budget werden alle Aspekte der Rehabilitation oder der Pflege in einem Gesamtplan durchdacht und auf den Einzelnen abgestimmt. Das fördert die Integrierte Versorgung, wie sie etwa im CJD Asthmazentrum Berchtesgaden schon umgesetzt wird. Das passt sehr gut zusammen. Wir haben ja in Deutschland eine Vielzahl von Kostenträgern, und die Frage ist immer, wer ist gerade für mich zuständig? Beim persönlichen Budget taucht diese Frage jedoch gar nicht mehr auf. Das wird im Vorfeld zwischen den Kostenträgern geklärt. So bringt das Konzept eine wesentliche Vereinfachung für die Patienten.

Glauben Sie, dass die Patienten das persönliche Budget wählen werden oder lassen sie sich nicht doch lieber weiter in althergebrachter Weise „versorgen“?

Wenn man die Niederlande oder die skandinavischen Länder anschaut, in denen das persönliche Budget eingeführt wurde, dann sieht man, dass es wahrgenommen wurde. Es führt zu einem neuen Selbstbewusstsein, wenn die Patienten plötzlich diejenigen sind, die das Geld bekommen und es selbstständig ausgeben können. Der Schlüssel zur Gesundheit ist die Eigenverantwortung, die Selbstbestimmung. Wenn ich nicht auf meine Gesundheit, mein Gewicht achte, wenn ich mich nicht bewege, dann kann niemand etwas tun.

Machen denn die Ärzte ihre Arbeit so schlecht? Sind ihre Bemühungen nutzlos?

Das sind ja nicht nur die Ärzte. In der Rehabilitation sind die ganzen Therapeuten tätig, seien es Psychologen, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Neuropsychologen, Sporttherapeuten. Die Patienten stecken da in vielfältigen Abhängigkeiten.

Sie sind Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft medizinisch-berufliche Rehabilitation. Was sagen Ihre Kollegen in der Arbeitsgemeinschaft dazu?

Wenn ich das Thema vortrage, herrscht großer Aufruhr und Protest. Aber ohne Erschütterung kommt nichts ins Bewegung. Wir müssen aufrütteln: Die Rettung des Systems kommt nur von den Betroffenen selbst, von niemanden sonst. Weil die Interessen so massiv sind - von Seiten der Ärzte, der Therapeuten, der Einrichtungen und der Kostenträger.

Wie ist das Konzept des persönlichen Budgets gegen Missbrauch geschützt?

Beim persönlichen Budget wird zum ersten Mal ein Teilhabeplan gemacht. Es wird der Bedarf festgestellt. Zum ersten Mal wird vorher überlegt, bevor Geld ausgegeben wird, was gebraucht wird. Dann wird das festgelegt, und der Patient kann sich die Leistungen in qualitätsgesicherten Einrichtungen einkaufen. Über die Fortschritte muss dann berichtet werden. Auch das ist heute gar nicht so üblich. Es wird gemeinsam überprüft, ob die gesteckten Ziele erreicht werden oder nicht.

(Das Interview führte Eduard Goßner im Rahmen einer Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft medizinisch-berufliche Rehabilitation im CJD Asthmazentrum Berchtesgaden)